Eckpunkte zur Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten vom 30.11.2022

Die Bundesregierung hat am 30.11.2022 ein 23 Seiten langes Eckpunktepapier vorgelegt zur Fachkräfteeinwanderung. Erste Infos finden Sie auf der Webseite der Bundesregierung.

Nähere Informationen  und der Text des Eckpunktepapiers sind auf der Webseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales veröffentlicht, das einen Gesetzesentwurf erstellen wird.

Das Eckpunktepapier enthält 28 Mal das Wort „prüfen“. Erst am Ende wird man sehen, was tatsächlich wie umgesetzt wird.

Drei Säulen sollen die Fachkräfteeinwanderung befördern:

  • Fachkräfte- Säule
  • Erfahrungs-Säule
  • Potenzial-Säule

I. Fachkräfte-Säule:

Bei der Fachkräftesäule geht es um den rechtlichen Zugang zur Fachkräfteeinwanderung, Fragen der Anerkennung ausländischer beruflicher Qualifikationen und Erleichterungen bei der Bildungsmigration (S. 2 – 4).

1. Eine anerkannte Qualifikation soll grundsätzlich zu jeder qualifizierten Beschäftigung in nicht-reglementierten Berufen berechtigen. Der gelernte Kaufmann im Einzelhandel könnte als Mechatroniker Autos reparieren? Näheres dazu lesen Sie unter dem zweiten Punkt Erfahrungssäule.

2. Die Gehaltsgrenzen der „Blauen Karte EU“ werden gesenkt.  Bislang berechnete die sich nach den jährlichen Bemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung  (grundsätzlich 2/3, bei MINT-Berufen 52 % ).

Nun sollen die Gehaltsgrenzen gesenkt auf das 1,25-fache des Durchschnittsjahresbruttogehaltes bzw. bei MINT-Berufen und Berufsanfängern generell auf das 1,0-fache des Durchschnittsjahresbruttogehaltes.

Woran das Durchschnittsjahresbruttogehalt anknüpft und was das 1,25-fache bzw. 1,0-fache sein soll, bleibt für mich noch offen. In der Praxis gibt es oft Streit im Rahmen der Entgeltprüfung, wenn die Gehaltsgrenzen der „Blauen Karte EU“ bei Akademikern nicht eingehalten werden. Eine klare Definition ist unabdingbar.

Schade ist, dass der Arbeitswechsel durch eine Öffnung des Arbeitsmarktzugangs während der ersten zwei Jahre in Deutschland  nicht erleichtert wird, wie es in anderen europäischen Ländern sein soll. Ein Antrag auf einen Arbeitgeberwechsel dauert, die Vorabzustimmung nach § 36 Abs. 3 BeschV  ist bei Personen im Inland (leider) nicht vorgesehen. Mancher übersieht die Bindung, zu der es in der elektronischen Aufenthaltskarte einen Hinweis auf das Zusatzblatt gibt. Diese zweijährige Bindung schreckt ab, steht der Flexibilität und Mobilität entgegen und schafft Abhängigkeiten. Selten fallen Kündigungsfrist und neues Jobangebot zeitlich passend zusammen.

3. Die Vorteile der „Blauen Karte EU“ (§ 18b AufenthG) sollen auch für Fachkräfte mit einer qualifizierten Berufsausbildung (§ 18a AufenthG) gelten.  Das ist grundsätzlich zu begrüßen.

4. Erleichterungen bei der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse sind vorgesehen. Das wird seit Jahren so kommuniziert. In meiner beruflichen Praxis tauschen Probleme dann auf, wenn bei der Botschaft nachzuweisende Deutschkenntnisse (A2) nicht vorgelegt werden können. Nicht die Verfahrensdauer bei den Handwerkskammern usw. sind das Problem, denn das geht bei vollständigen Unterlagen recht flott. Nebenverdienstmöglichkeiten bei vorgeschalteten Sprachkursen, wie angedacht, könnten hier eventuell eine Hilfe sein.

Eine Hemmschwelle für viele zum Antrag auf Anerkennung des ausländischen Abschlusses sind lange Ausführungen auf manchen Webseiten in ausschließlich deutscher Sprache, die selbst Juristen schrecken bzw. zu kurze Hinweise, die einen nicht in den Modus „mach mal“ schicken. Die Möglichkeiten zur Förderung erfordern auch ein langes einlesen und nachfragen. Mach es kurz und gib mir eine Möglichkeit zum „Upload“ von Unterlagen!

Die Erleichterung, wenn Unterlagen oder Abschlüsse fehlen, haben wir grundsätzlich schon in § 14 BQFG, z. B. bei verbrannten Unterlagen. Wann die fehlende Vorlage von Unterlagen  nicht zu vertreten ist, muss unter Berücksichtigung der Lebenswirklichkeit in anderen Ländern definiert werden. Beispielsweise hatte ich einen Mandanten, der auf das formelle Diplom nach Uniabschluss verzichtet hat, weil das schon vor Jahren € 1.000 gekostet hätte und bereits ein Jobangebot vorlag. Ein anderer sollte den Nachweis des Uniabschlusses mit hohen Summen bezahlen.

5. Bei der Bildungsmigration ist sehr zu begrüßen, dass auf die Vorrangprüfung für Auszubildende künftig (wieder) verzichtet wird. Das verschlankt das Verfahren, macht es vorhersehbar und wird dem Umstand gerecht, dass viel zu viele Auszubildende fehlen.

II. Erfahrungs-Säule

Bei der Erfahrungssäule (S. 4-5) stehen die Anerkennung von Berufserfahrung, eine Anpassung der Gehaltsgrenze generell und für IT-Fachkräfte und Verschiebung des Anerkennungsverfahrens auf den Zeitpunkt nach der Einreise im Fokus.

1. In nicht-reglementierte Berufe soll eine Einwanderung nach nachgewiesener zweijähriger beruflicher Tätigkeit in dem avisierten Wunschberuf zugelassen werden. Selbst aus Unionsländern wie Italien hört man Klagen von Arbeitnehmern, dass es ihnen nicht gelingt eine offizielle (Vollzeit-)Stelle zu bekommen. Nach meiner beruflichen Erfahrung scheint das  in Osteuropa noch deutlich verbreiteter zu sein. 

Hier stellt sich die Frage, ob Kenntnisprüfungen eine Möglichkeit zum Nachweis der Fertigkeiten alternativ bieten könnten.

2. Bei IT-Spezialisten auf Deutschkenntnisse zu verzichten erscheint folgerichtig. Ob eine Absenkung der Mindestverdienstgrenzen marktgerecht erforderlich ist, kann ich nicht beurteilen.  IT-Fachkräfte nach § 6 BeschV müssen  aktuell nicht nur 60 % der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung verdienen, sondern auch drei Jahre Berufserfahrung in den letzten sieben Jahren nachweisen. Das sind keine Berufsanfänger mehr.

Das Thema „Remote-Arbeitsvisa“, das nicht nur für Informatiker interessant ist, findet keine Erwähnung.

3. Die erwähnte Anerkennungspartnerschaft bringt die Möglichkeit, die Anerkennung nach Einreise zu betreiben. Das kann Vorteile bringen, birgt aber auch das Risiko des Missbrauches. Und wenn die Anerkennung am Ende nicht erfolgt, erfolgt ggfs. die Ausreise? Anerkennungspartnerschaft klingt für meine Ohren ein wenig nach beschleunigtem Fachkräfteeinwanderungsverfahren, das meiner Auffassung nach ohne viele Vereinbarungen, Original-Vollmachten, Registrierungen der Firmen den zuständigen Ausländerbehörden  deutlich kundenfreundlicher gestaltet werden könnte (vgl. zum beschleunigten Fachkräfteeinwanderungsverfahren: Klaus, Mit angezogener Handbremse im International Race for Talents – das beschleunigte Fachkräfteverfahren nach § 81a AufenthG ZAR 2022, 343).

III. Potenzial-Säule:

Bei der Potential-Säule (S. 5-7)  geht es unter anderem um Erleichterungen beim Aufenthalt zur Arbeitsplatz- und Ausbildungsplatzsuche, Probebeschäftigungen, erweiterte, zeitlich befristete Arbeitsmöglichkeiten für Positivstaater und die Entfristung, Erweiterung  sowie Digitalisierung bei der Westbalkanregelung.

1. § 20 Abs. 1 AufenthG gibt bereits die Möglichkeit zur Arbeitsplatzsuche für Fachkräfte für sechs Monate, allerdings bei Nachweis der Lebensunterhaltssicherung. Die avisierte Regelung gibt die Möglichkeit zu zwei Wochen Probebeschäftigung (einmalig oder pro Jobangebot?) und 10 Stunden statt 20 Stunden Beschäftigung. Bleibt der Nachweis der vollen Lebensunterhaltssicherung vor Einreise wird der Andrang nicht übermäßig groß sein.

2. Arbeitsmöglichkeiten für Personen aus sog. Positivstaaten für 90 Tage innerhalb von 180 Tagen schaffen die Möglichkeit eines Zubrots für Ausländer, die im Herkunftsland keinen festen Job haben und ihr Einkommen durch zeitlich befristete Tätigkeit in Deutschland aufbessern wollen.  Das hilft Branchen, in den jahresbedingt zusätzliche Arbeitskräfte für eine begrenzte Zeit erforderlich sind, z.B. Paketzusteller währen der Weihnachtszeit.

3. Die Erweiterung und Entfristung der Westbalkanregelung berücksichtigt die Tatsache, dass der Wirtschaft auch ungelernte Arbeitskräfte in großem Umfang fehlen.  Bislang sind Termine über ein Lotterieverfahren buchbar, wobei jeder sich selbst oder über Agenturen einbuchen kann. Unabhängig davon, ob er ein Jobangebot hat (was nur schlüssig ist, denn welcher Arbeitgeber setzt allein auf Zufall?).

Wünschenswert wäre aber, dass genauer auf den Bedarf der Wirtschaft geschaut wird und auch die Vorabzustimmung nach § 36 Abs. 3 BeschV, in deren Verfahren der Bedarf geprüft wird, wieder eingeführt wird. Bei effizienter digitaler Regelung dürften die Geltungsdauer einer Vorabzustimmung von 6 Monaten kein Problem mehr darstellen.

Die Ergebnisse der beabsichtigten Digitalisierung werden mit Spannung erwartet. Allerdings sollte auch die notwendige Digitalisierung des Vorabzustimmungsverfahrens in  der Beschäftigungsverordnung zeitnah  erfolgen.

Im Übrigen:

Ab Seiten 7 erfahren wir viel darüber, wie Deutschland attraktiver werden soll für potentielle Einwanderer.

Auf einer Tagung sagte ein leitender Behördenmitarbeiter einmal, es gibt alle Informationen, man muss sie nur finden. Da ist viel Wahres dran. Und die Informationen müssen zentral zugänglich sein, in Landessprachen, transparent, in kurzer Zeit erfassbar sowie  Branchen- und Praxisbezogen dargestellt werden. Eine Digitalisierung, zum Beispiel durch vermehrte Möglichkeiten zum Upload-Verfahren wie in dem Pilot-Projekt zur Blauen Karte in Belgrad, Kalkutta und Sao Paulo sollten schneller, aber auch kompetent erfolgen.

Anfang des kommenden Jahres schon soll ein Gesetzesentwurf in den Bundestag eingebracht werden. Zuvor wird der Entwurf auf der Webseite des BMAS veröffentlicht in der Form, wie er den Verbänden und Fachkreisen nach § 47 Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien zur Stellungnahme innerhalb von regelmäßig vier Wochen übermittelt wird. Das ist knapp bemessen.

Man darf gespannt sein.